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zivilprozessrecht blog: Paradigmenwechsel im Schweizer Insolvenzrecht bei der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen: Die Streichung von Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG und ihre Auswirkungen.

Loffing Jon, in: bratschi Zivilprozessrecht blog, Juni 2024

Die Revision des SchKG, die am 1. Januar 2025 in Kraft tritt, hebt den Ausschluss des Konkurses bei der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen auf und führt zu einer einheitlichen Behandlung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Forderungen im Zwangsvollstreckungsverfahren. Dies bedeutet eine Verschärfung für Schuldner, die grundsätzlich dem Konkurs unterliegen, da nun auch die Nichtzahlung öffentlich-rechtlicher Schulden zum Konkurs führen kann. Für öffentliche Gläubiger resultiert ein Verlust des Behördenprivilegs, während private Gläubiger potentiell von geringeren Kosten und strategischen Vorteilen in der Zwangsvollstreckung profitieren können.

Per 1. Januar 2025 tritt eine Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) in Kraft, mit welcher die Ziff. 1 und 1bis des Art. 43 SchKG ersatzlos gestrichen werden. Dadurch wird der bisherige Grundsatz aufgehoben, wonach der Konkurs bei der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen wie Steuern, Abgaben, Bussen oder Prämien der obligatorischen Unfallversicherung ausgeschlossen ist. Die anstehende Gesetzesänderung stellt sowohl Herausforderungen als auch Chancen für alle Parteien dar. Diese werden im Folgenden erörtert.

 

Für Schuldner: die Zügel werden gestrafft

Die Gesetzesrevision betrifft ausschliesslich Schuldner, die grundsätzlich dem Konkurs unterliegen (Art. 39 Abs. 1 SchKG). Bislang führte bei ihnen die vorübergehende Nichtzahlung von öffentlich-rechtlichen Schulden höchstens zur Pfändung von Vermögenswerten. Dies war für den Schuldner vorteilhaft, da eine Pfändung im Vergleich zur kompletten Liquidation durch Konkurs, welche bei Nichtzahlung privater Schulden droht, wesentlich weniger drastisch ist. Bei einer Pfändung nimmt die Behörde einige, aber nicht unbedingt alle Vermögenswerte unter Beschlag, und der Schuldner darf (nur) über diese nicht mehr verfügen. Teilweise darf er sie allerdings trotzdem noch benutzen. Das schuldnerische Unternehmen kann somit auch während eines Pfändungsverfahrens weiter betrieben werden. Bei Zahlung der Schuld wird schliesslich die Pfändung aufgehoben und der Betrieb kann normal weitergeführt werden. Ausserdem werden die gepfändeten Vermögenswerte durch das Betreibungsamt nicht sofort verwertet. Die Verwertung kann aufgeschoben werden, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass er die Schuld ratenweise tilgen kann (Art. 123 Abs. 1 SchKG). Dies gibt Unternehmen die Zeit, sich bei finanziellen Engpässen zu erholen. Diese Möglichkeit wird durch die neue Regelung stark eingeschränkt. Neu unterliegt der Schuldner der Konkursbetreibung, gleich wie bei jeder anderen unbezahlten Schuld, mit den bekannten Folgen der Generalexekution mit anschliessender Liquidierung im Falle der Nichtbezahlung.

 

Für öffentliche Gläubiger: Verlust des Behördenprivilegs

Für öffentliche Gläubiger stellt der Verlust des sogenannten Behördenprivilegs eine zentrale Änderung dar. Bislang konnten sie im Rahmen der Zwangsvollstreckung einen im Vergleich zu den privaten Gläubigern einfacheren Weg gehen, da ihnen mit Art. 43 SchKG Zugang zur Spezialexekution gewährt wurde. Mit der anstehenden Revision müssen sie sich auf das komplexere und kostspieligere Konkursverfahren einlassen. 

 

Für private Gläubiger: potenzielle Vorteile

Auf den ersten Blick scheint sich für private Gläubiger durch die Revision nichts zu ändern, da sie bei der Vollstreckung ihrer Forderungen ohnehin wie bisher den Weg des Konkurses beschreiten müssen. Bei genauerer Betrachtung dürften sie jedoch von der Neuregelung profitieren. Da der Gläubiger, der den Konkurs beantragt, die Kosten dafür tragen muss (Art. 169 Abs. 1 SchKG), könnte es für private Gläubiger strategisch klug sein, zu warten, bis ein öffentlicher Gläubiger den Konkurs beantragt. Die 15-Monatsfrist von Art. 166 Abs. 2 SchKG zur Stellung des Konkursbegehrens ist allerdings zu beachten. Da die öffentliche Hand in der Praxis der häufigste Gläubiger ist, dürfte die Konkurseinleitung mit allen damit einhergehenden Kosten zu einem grossen Teil auf das Gemeinwesen übertragen werden. Dies ermöglicht privaten Gläubigern, ihr Kostenrisiko zu senken und im Falle der Konkurseröffnung ihre Forderung grundsätzlich kostenlos anzumelden. 

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